Sonderschutzfahrzeuge

Aus Wiki zur Mercedes Baureihe W126
Wechseln zu: Navigation, Suche

Als Sonderschutzfahrzeuge werden PKW oder Nutzfahrzeuge bezeichnet, die durch eine integrierte Panzerung die Insassen und/oder das Ladegut vor äußeren Angriffen schützen sollen.

Geschichte

Mercedes-Benz hat eine sehr lange Tradition im Bereitstellen von Sonderschutzfahrzeugen. Bereits im Jahre 1928 bot Mercedes-Benz die ersten Sonderschutzfahrzeuge an. Der Mercedes-Benz W08 hatte verschiebbare Stahlplatten, mit denen die Fensterscheiben von innen gesichert wurden. Mithilfe eines Periskops konnte man nach außen sehen. Der erste vollständig gepanzerte Mercedes wurde 1930 an den japanischen Kaiser Hirohito ausgeliefert. Neben den Sonderschutzfahrzeugen der Markenhersteller werden auch von anderen Unternehmen Umbauten derartiger Fahrzeuge angeboten. Durch diese Unternehmen werden auch solche Fahrzeuge verändert, die ab Werk nicht als Sonderschutzfahrzeug erhältlich sind. Der Aufwand hierfür ist hoch, da die Serienfahrzeuge vor dem Umbau nahezu vollständig demontiert werden müssen.

Widerstandsklassen

Sonderschutzfahrzeuge werden in verschiedene Widerstands- bzw. Beschussklassen unterteilt. Hierbei wird jedoch nicht die Widerstandsfähigkeit des gesamten Fahrzeuges, sondern die Widerstandsfähigkeit der verschiedenen eingesetzten Werkstoffe ermittelt.

Die Widerstandsklassen werden nach DIN und Euronorm danach zertifiziert, welcher Schusswaffeneinwirkung die Panzerung widersteht. Die Zertifizierung des Fahrzeuges in die jeweilige Widerstandsklasse erfolgt in Deutschland durch die Beschussämter Mellrichstadt, München und Ulm. Die Klassen werden von B1 bis B7 für Karosserieteile und analog dazu mit BR1 bis BR7 für Verglasung unterteilt.

Widerstandsklasse Kaliber Schussentfernung Einschlagsgeschwindigkeit Waffenart
B1 .22 LR 10 Meter 360 m/s Kurzwaffe
B2 9 mm Parabellum 5 Meter 400 m/s Kurzwaffe
B3 .357 Magnum 5 Meter 430 m/s Kurzwaffe
B4 .44 Magnum 5 Meter 440 m/s Kurzwaffe
B5 5,56 × 45 mm NATO 10 Meter 950 m/s Gewehr
B6 7,62 × 51 mm NATO Weichkern 10 Meter 830 m/s Gewehr
B7 7,62 × 51 mm NATO Hartkern 10 Meter 830 m/s Gewehr

Die üblicherweise eingesetzten Widerstandsklassen sind B4 und B6/B7. Der Schrägstrich bei der Angabe für die sogenannten Schwerpanzer bedeutet, dass die Karosserie der Beschussklasse B7 und die Verglasung der Beschussklasse BR6 entspricht.

Neben Angriffen mit Schusswaffen schützen solche Fahrzeuge die Insassen auch vor Attacken mit Sprengstoffen, Äxten, Brechstangen und Brandbomben (Molotowcocktails).


Zielgruppen

Das Angebot von Sonderschutzfahrzeugen der höchsten Widerstandsklasse B6/B7 richtet sich hauptsächlich an Sicherheitsbehörden, die für den Schutz der Verfassungsorgane und deren ausländische Gäste zuständig sind. Zunehmend gehören auch Privatpersonen zur Zielgruppe.

Details und Produktionszahlen dieser Fahrzeuge werden von den Herstellern zumeist geheim gehalten. Dies dient einerseits dem Schutz der Kunden und soll andererseits den Mitbewerbern keine Vorteile verschaffen.

Eine Ausnahme bildet das Dienstfahrzeug des Präsidenten der USA. Dieses Fahrzeug lässt sich in keine der normierten Schutzklassen einordnen. Die Schutzwirkung dürfte weit über die bisher höchste B6/B7 Schutzklasse hinausgehen. Hinweise darauf geben unter anderem die nicht gewölbten Fahrzeugscheiben, die von Experten als bis zu 14cm dick eingeschätzt werden, sowie der Sonderaufbau auf Basis eines Klein-Lkw statt der regulären Pkw-Limousine.

Die Zielgruppe für Sonderschutzfahrzeuge der mittleren Widerstandsklasse B4 stellen Personen dar, die sich in Gebieten mit Gefährdungen durch kriminelle Angriffe (beispielsweise Carjacking, Kidnapping oder Raubüberfälle) bewegen.

Auch werden Sonderschutzfahrzeuge von Sicherheitsunternehmen zum Transport von Wertgegenständen eingesetzt. Ein bekanntes Beispiel hierfür sind so genannte Geldtransporter. Solche Fahrzeuge werden bei der Bestellung mit den den jeweiligen Anforderungen entsprechenden Widerstandsklassen ausgerüstet.

Sonderschutzfahrzeuge ab Werk

  • Audi A6 Security, lieferbar in Widerstandsklasse B4
  • Audi A8 Security, lieferbar in Widerstandsklasse B6/B7
  • BMW 550i (F10) Security, lieferbar in Widerstandsklasse B4
  • BMW X5 (E70) Security und Security Plus, lieferbar in Widerstandsklasse B4 bzw. B6 Auto Motor und Sport, 15. April 2009 (News)
  • BMW 760Li (E67) High Security Widerstandsklasse VR7
  • BMW 750Li, 760Li (F02) High Security, lieferbar in Widerstandsklasse VR7/VR9
  • Kombat T-98, lieferbar in Widerstandsklasse B2 bis B7
  • Mercedes-Benz Baureihe 212/207 E 350 CDI, E 350, E 500 (W212) E-Guard, lieferbar in Widerstandsklasse VR4
  • Mercedes-Benz Baureihe 221 S 450 CDI, S 600, S 600 Pullman Guard (V221) S-Guard, lieferbar in Widerstandsklasse VR6/VR7 Autobild.de: Luxus ganz sicher; Mercedes S 600 Pullman Guard auf Pariser Motor Show vorgestellt
  • Mercedes-Benz G-Klasse G 500 (W463) G-Guard, lieferbar in den Widerstandsklassen VR6 und VR7
  • Range Rover, lieferbar in vier unterschiedlichen Widerstandsklassen
  • Maybach 57 und 62, lieferbar in der Widerstandsklasse B4
  • Bentley, alle Modelle lieferbar in den Widerstandsklassen B1 bis B6
  • Jaguar XJ Sentinel, lieferbar in Widerstandsklasse B7 classicdriver.de: Gepanzerter Jaguar XJ Sentinel in Moskau enthüllt

Sonderausstattungen

Sonderschutzfahrzeuge werden oft mit zusätzlichen Sonderausstattungen ausgerüstet, die für herkömmliche Fahrzeuge selten lieferbar sind. Dazu gehören unter anderem interne Feuerlöschanlagen, Gegensprechanlagen nach außen (so genannte Intercom-Anlagen), Reifen mit Notlaufeigenschaft, GPS-Ortungssystem, explosionssicherer Tank, Außenluftfilteranlagen gegen Gasangriffe und vieles mehr.

GPS-Ortungssystem

Selbst weitgehende Panzerung bietet keinen ausreichenden Schutz vor unbefugtem Zugriff: 2004 wurde der Dienstwagen des DaimlerChrysler-Chefs Jürgen Schrempp gestohlen. Der Wagen konnte trotz Fahndung der Polizei und diverser Ortungsversuche über das im Fahrzeug eingebaute GPS-System nicht ausfindig gemacht werden. Ein Sprecher von DaimlerChrysler bestätigte lediglich, „dass ein gepanzerter Mercedes aus dem Fuhrpark gestohlen wurde“. (Die Welt, 23. November 2004 , Wie stehle ich den Mercedes von Daimler-Chef Jürgen Schrempp)

Auch der ehemaligen Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth war einst aus der Garage ihres Chauffeurs der Dienstwagen gestohlen worden. In diesem Fall allerdings konnte das Fahrzeug einen Tag später über das Ortungssystem in einem Frankfurter Parkhaus ausfindig gemacht werden.

Fernbedienung

Ein gepanzerter Wagen muss sofort einsatzbereit sein können. Da beim Ausstieg der zu schützenden Person aus selbigem Wagen zumeist auch Fahrer und Begleiter das Fahrzeug verlassen, ergibt sich die Notwendigkeit, in Gefahrensituationen jegliche Verzögerung beim Verlassen eines Gefahrenortes zu vermeiden. So gibt es die Sonderfunktion Fernstarter. Noch bevor die zugangsberechtigten Personen das Fahrzeug erreicht haben, kann der Motor des Fahrzeuges mittels Fernbedienung gestartet werden. Vorsichtige Fahrer starten das Fahrzeug mit Hilfe dieser Funktion auch im Normalfall aus der Ferne. So besteht keine Gefahr, im Fahrzeug während des Motorstartes von einer eventuell zuvor in Abwesenheit installierten, zündungsgekoppelten Autobombe erfasst zu werden.

Sicherheitsreifen

Sicherheitsreifen stellen ein System aus Felgen und Reifen dar, das selbst nach erfolgtem Anstoß (Fremdkörpereinwirkung) sowie nach Luftdruckverlust gewisse Notlaufeigenschaften besitzt. Mercedes-Benz bot diese Sicherheitstechnik Anfang der 1990er-Jahre unter dem Namen CTS-Reifen vorübergehend auch für Serienfahrzeuge an.

Atemluftversorgung/Filteranlage

Um Schutz vor Angriffen mit Reiz- oder Giftgasen bieten zu können, sind Anlagen erhältlich, die dem Innenraum zugeführte Luft filtern oder eine eigenständige Atemluftversorgung über Pressluftflaschen ermöglichen. Dabei wird im Fahrzeug ein leichter Überdruck erzeugt, der keine Außenluft in das Fahrzeug eindringen lässt.

Anti-Kidnapping-Funktionen

Für den Fall von Kidnapping, bei dem das Opfer im eigenen Wagen entführt werden soll, existieren Einrichtungen, um den Wagen stillzulegen und die Türen zu verriegeln. Diese Maßnahmen können unbemerkt, z.B. durch ein verstecktes Bedienpanel im Kofferraum, ausgelöst werden.

Notausgänge

Eine besondere Gefahr bei gepanzerten Fahrzeugen ist, dass man es in einem Notfall, z. B. nach einem Unfall, nicht mehr verlassen kann. Dies kann verschiedene Gründe haben, wie Verformung der Türen oder Ausfall der Elektronik für Schlösser und Fensterheber. Durch die Panzerung ist es jedoch nicht möglich, die Scheiben einzuschlagen, und die Feuerwehr hätte erhebliche Mühe, das Dach zu demontieren. Einige Fahrzeuge haben deshalb elektrisch unabhängige hydraulische Fensterheber, die wegen des hohen Mehrgewichts der gepanzerten Scheiben ohnehin nötig sind.

Eine erst in den letzten Jahren aufgekommene Sicherheitseinrichtung bildet die per Fernzündung heraussprengbare Frontschutzscheibe. Um ein gepanzertes Fahrzeug auch nach einem Unfall auf unkonventionelle Weise verlassen zu können, blieben als einziger Rettungsweg die Fenster. Da diese aber zu schwer sind, um sie nach einem Unfall (zumal in geschwächtem körperlichem Zustand) heraushebeln zu können, installierte man Sprengschnüre in den Fensterfassungen. Diese sollen gegebenenfalls den Fensterkorpus vom Rahmen lösen. Der Betätigungsschalter befindet sich zumeist unter einem kleinen (meist farblich abgesetzten) Klappdeckel.

Audi bietet mittlerweile als Rettungsmöglichkeit das Heraussprengen aller vier Türen über einen in der Mittelkonsole befindlichen Auslöseknopf an.

Verwendete Materialien

Die zur Panzerung verwendeten Materialien sind zumeist Stahl, Kunststoffe (z. B. Kevlar) und Panzerglas. Stahl wird eingesetzt, um die Wirkungskraft von Geschossen zu eliminieren, Kunststoffe sollen das Eindringen von Geschosssplittern verhindern.

Auch werden Kunstfasern, wie zum Beispiel Aramid (Kevlar), von Verbundwerkstoffen und auch spezielle Keramiken verwendet, da eine Gewichtsersparnis gegenüber den zur Panzerung verwendeten Sonderstählen möglich ist. Die verstärkte Verwendung dieser modernen Materialien in den neueren Sonderschutzfahrzeugen trägt auch dazu bei, die Modifikationen unauffälliger in die Fahrzeuge zu integrieren, um die Auffälligkeit solcherart ausgestatteter Fahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr möglichst gering zu halten.

Gewicht

Durch die Panzerung kann sich das Fahrzeuggewicht je nach Widerstandsklasse um 1.000 Kilogramm oder mehr erhöhen. Eine einzige Fahrzeugtür wiegt oft mehr als 100 Kilogramm; zum leichteren Öffnen und Schließen sowie zum Heben und Senken der schwereren Panzerglasscheiben werden hier oft hydraulische Systeme eingesetzt.

Bei modernen Fahrzeugen wird heutzutage der Gewichtsnachteil nicht mehr durch stärkere Motoren, sondern eher durch angepasste Fahrwerke in Bezug auf das Fahrverhalten und die Fahrleistungen größtenteils kompensiert. Der damit einhergehende erhöhte Kraftstoffverbrauch spielt in der Zielgruppe dieser Fahrzeuge eine untergeordnete Rolle. Von einer Kompensation durch pure Motorgröße wird aus Umweltschutzgründen immer mehr Abstand genommen.

Da manche Sonderschutzfahrzeuge die zulässige Gesamtmasse von 3.500 Kilogramm überschreiten und zum Führen des Fahrzeugs eine Fahrerlaubnis für LKW benötigt wird, sieht die Zweite Verordnung über Ausnahmen von der Vorschriften der Fahrerlaubnis-Verordnung (Zweite Verordnung über Ausnahmen von den Vorschriften der Fahrerlaubnis-Verordnung vom 16. Dezember 2011 (BGBl. I S. 3113), pdf-Dok. 30 KB] vor, dass Fahrzeuge, die vom Bundeskriminalamt oder den Polizeien der Länder für den Personenschutz eingesetzt werden, mit der Fahrerlaubnis der Klasse B (für PKW) geführt werden dürfen. In diesem Fall muss das Fahrzeug bestimmte bauliche Anforderungen erfüllen. Der Fahrer muss zudem eine besondere, mindestens dreitägige Fahrausbildung absolviert haben. Auch dann darf das zu steuernde Fahrzeug höchstens 4.100 Kilogramm schwer sein.

Sicherheit

Die Panzerung eines Sonderschutzfahrzeuges kann dessen Insassen keine absolute Sicherheit garantieren. Meist stellen Sonderschutzfahrzeuge auch nur einen Teil der Maßnahmen zum Schutze einer Person dar. Ein sehr wichtiger Bestandteil zum sicheren Transport ist das Fahrkönnen und -verhalten des Chauffeurs. Meist haben Führer eines Sonderschutzfahrzeuges eine Personenschutzausbildung und spezielle Fahrtrainings hinter sich. Häufig befinden sich noch weitere Personenschützer im Fahrzeug. Um die Sicherheit weiter zu erhöhen, werden oft Konvois gebildet, wobei die Begleitfahrzeuge meist nur Personenschützer oder auch Gepäck der Schutzperson transportieren. Bei hohen Ansprüchen handelt es sich auch bei den Begleitfahrzeugen um Sonderschutzfahrzeuge. So kann eine unverletzte Schutzperson zum Beispiel nach einem Unfall in ein gepanzertes Begleitfahrzeug wechseln. Auf Autobahnen werden Begleitfahrzeuge zum Abschirmen gegen überholende Fahrzeuge eingesetzt. Bei einem gezielten Angriff kann die Besatzung eines Begleitfahrzeuges die Angreifer bekämpfen, um dem Fahrzeug der Schutzperson eine schnellstmögliche Flucht zu ermöglichen.

Zwischenfälle

  • Bei einem Sprengstoffattentat starb am 30. November 1989 der Vorstandssprecher der Deutschen Bank Alfred Herrhausen in einer Mercedes S-Klasse W126 der Widerstandsklasse B6/B7, während sein Fahrer nur leicht verletzt wurde. Ein Teil der Türinnenverkleidung war durch den Explosionsdruck abgesprengt worden und hatte Herrhausens Oberschenkelschlagader verletzt. Aufgrund der mangelhaften Rettungsmaßnahmen verblutete Herrhausen.
  • Am 20. April 1995 überlebte José María Aznar, zum damaligen Zeitpunkt noch Oppositionsführer in Spanien, einen ähnlichen Sprengstoffanschlag in einem Audi V8 der gleichen Widerstandsklasse mit leichten Verletzungen.
  • Am 9. Februar 1998 wurde ein Anschlag auf den damaligen georgischen Staatspräsidenten Eduard Schewardnadse verübt. Die Attentäter verwendeten panzerbrechende Granaten des Typs RPG-7. Trotz zweier Treffer in der Motorhaube des gepanzerten Mercedes-Benz Baureihe W 140 der Schutzklasse B6/B7 gelang es dem Fahrer, das Fahrzeug aus der Gefahrenzone zu bringen. Obwohl das Fahrzeug schwer beschädigt war, blieben Schewardnadse, sein Fahrer und zwei Leibwächter nahezu unverletzt.
  • Das Magazin „Der SPIEGEL“ berichtete, dass der sächsische Innenminister und frühere Pfarrer Heinz Eggert mit seinem Sonderschutz-W126 am Wochenende selbst von Dresden nach Hamburg fuhr (d.h. ohne Chauffeur und ohne die für das Auto erforderliche Fahrlizenz), um sich in der Hamburger Nachtszene zu vergnügen, nachdem sein Fahrer die Fahrt nach Hamburg mit Verweis auf seine Dienstzeiten und das Wochenende abgelehnt haben solle.
  • Im März 1981 wäre dem ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagan seine gepanzerte Limousine fast zum Verhängnis geworden. Als er wenige Meter neben seinem Auto stand, schoss ein Attentäter auf Reagan. Die Kugel traf auf das Panzerglas der Limousine, prallte ab und verletzte Reagan.

Weblinks